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Frauen auf Bäumen – oder wie aus einer Sammelleidenschaft ein Buch wurde

Es ist fast ein modernes Märchen: Seit bereits 25 Jahren sammelt fotogloria-Mitbegründer und Geschäftsführer Jochen Raiß historische Amateuraufnahmen – um sie vor dem Vergessen zu retten, zu seiner eigenen Freude, einfach, weil es schöne Bilder sind. Nach all den Jahren beschließt er, auch mal andere Menschen einen Blick auf seine Kollektionen werfen zu lassen und tippt auf der Frankfurter Buchmesse der erstbesten Frau auf dem Stand des renommierten Verlages Hatje Cantz auf die Schulter. Wie sich herausstellt, ist er in dem Moment auf Ulrike Ruh getroffen, ihres Zeichens Programmchefin des Verlages. Der Rest ist das Happy End des Märchens: Nur knapp 6 Monate später ist der Bildband »Frauen auf Bäumen« erschienen.

Wir haben mit Jochen und mit Ulrike Ruh über das Buch gesprochen.

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fotogloria:  Jochen, Du sammelst seit 25 Jahren historische Amateuraufnahmen – kannst Du Dich an Deine erste Frau auf einem Baum erinnern?
Jochen Raiß: Ja, das kann ich. Das war in Frankfurt, während meines Studiums vor etwa 24 Jahren. Es zeigt eine Frau auf einem Baum in einem Kleid. Es sind eher Tanzschuhe mit Absatz, als geeignetes Schuhwerk zum Erklimmen eines Baumes. Das war natürlich ein toller Fund. So etwas hatte ich zuvor noch nicht gesehen.

Und was hast Du gedacht, als Du die zweite, dritte, vierte… Frau auf einem Baum gefunden hast?
Da habe ich mich sehr gefreut. Beim ersten Mal dachte ich »Super, toller Schnappschuss«. Beim zweiten, dritten und vierten habe ich mich zwar gewundert, dachte aber immer noch nicht an eine Serie.

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Wie viele Frauen auf Bäumen hast Du denn insgesamt im Laufe der Zeit zusammen getragen? Und wo hast Du sie gefunden?
Im Vorwort zum Buch schreibe ich 91 Motive. Das war im März, mittlerweile habe ich über 100, was auch daran liegt, dass mir aufgrund des Artikels bei SPON über die Strecke einige nette Menschen  »Frauen auf Bäumen« geschickt oder im Scan zur Verfügung gestellt haben. Auch Tipps und Hinweise zu »Frauen auf Bäumen« auf Verkaufsplattformen im Internet habe ich erhalten!

Die Bilder lagen die ganzen Jahre über in Deinem Archiv, wie kam es dazu, dass Du sie aufgearbeitet hast?
Ich sammele ja wirklich schon sehr, sehr lange. Und lange Zeit nur für mich im Stillen. Ich dachte, dass das ein Hobby ist, das nicht wirklich andere Menschen interessiert. Das dem doch so ist, habe ich im Sommer 2014 erfahren, als ich meine erste Ausstellung hatte.
Zu der Ausstellung kam es eigentlich durch einen Zufall. Ich hatte zu der Zeit gerade mit dem Scannen einiger meiner Bilder begonnen, um sie einmal auf dem Bildschirm anzuschauen. Und auf dem ersten Scan entdeckte ich auf dem Bildschirm in der Vergrößerung eine Person im Fenster, die ich zuvor nie gesehen hatte. Das war natürlich unheimlich aufregend. In diesen Tagen lernte ich auf einer Party eine Frau kenne, die eine kleine Galerie betreibt. Ich erzählte Ihr von meiner Entdeckung, weil ich so begeistert davon war. Sie brachte mich schließlich dazu, bei ihr auszustellen.
Normalerweise erzählte ich zu dieser Zeit gar nicht oft von meinem Sammeln. Selbst Freundinnen und Freunde haben sich  gewundert, als sie dann eine Einladung zu der ersten Ausstellung bekommen haben. Und die Ausstellung war für mich ein prägendes Erlebnis.
Ich hatte so viele tolle Gespräche und Begegnungen mit unterschiedlichsten Menschen. Leute, die extra zu der Ausstellung kamen, zufällig vorbeikommende, Anwohner, etc. Junge Menschen, Alte, in meinem Alter und so weiter. Wirklich jeder, der in die kleine Galerie kam, hat ein Foto gefunden, das ihn/sie auf irgendeine Weise angesprochen hat – das war einfach wunderbar. »Meine« Bilder, die ich schon so lange besitze, waren auf einmal öffentlich und ich durfte/konnte/musste mich darüber austauschen. Klasse! Super Erfahrung.
So kam es dann, dass ich mir eine Website gestaltet habe und die verschiedenen Kollektionen dort zum Teil jetzt vorstelle. Von Anfang an war »Frauen auf Bäumen« eine, oder gar die Lieblingskollektion!

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Und nun hat der Verlag Hatje Cantz einen Bildband mit den »Frauen auf Bäumen« herausgebracht – wie kam es dazu?
Ich war letzten Herbst für fotogloria auf der Buchmesse. Auf dem iPad hatte ich ein PDF der »Frauen auf Bäumen« dabei, weil ich einfach einmal herausfinden wollte, wie Kunstbuchverlage dem Thema Amateurfotografie, beziehungsweise historischer Amateurfotografie gegenüber stehen. Ich ging also an den Messestand von Hatje Cantz und sah eine Dame, die nicht im Gespräch war. Ich sprach sie an – wie sich später herausstellen sollte, war es Ulrike Ruh, Programmchefin bei Hatje Cantz. Auf die Frage hin, ob sie einen Moment Zeit hätte, antwortete sie sinngemäß »natürlich nicht«, denn ihre Termine waren alle vergeben. Worum es denn ginge, fragte sie mich. Ich erklärte ihr daraufhin, dass ich seit etwa 25 Jahren historische Amateuraufnahmen sammeln würde und hätte ein PDF mit dem Titel »Frauen auf Bäumen« dabei, das ich ihr gerne einmal zeigen möchte. Ihre Reaktion war, wie bei vielen noch dieser Tage, wenn ich von den »Frauen auf Bäumen« erzähle, ein Schmunzeln! Sie sagte mir dann, dass ihr Termin etwa eine halbe Stunde dauern würde und ob ich nicht danach nochmal kommen wolle, dann würde sie es sich gerne einmal anschauen.
Nun ja, und dann ging ich nach der verabredeten Zeit nochmal hin und wir unterhielten und sehr lange und angeregt über das Sammeln, Fotografie – und über die »Frauen auf Bäumen«!
Irgendwann sagte sie dann zu mir, »wissen sie was Herr Raiß, ich möchte gerne etwas mit den Bildern machen. Muss aber einschränkend sagen, dass ich sie zunächst meinem Team in Stuttgart vorführen will, um heraus zu finden, ob sie auch so spontan begeistert sind, wie ich gerade«. Waren sie.

Frau Ruh, Jochen Raiß ist ganz spontan auf der Frankfurter Buchmesse auf Sie zugekommen – was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie die »Frauen auf Bäumen« gesehen haben?
Ulrike Ruh: Beim ersten schnellen Durchklicken der Fotos auf dem Tablet habe ich erstmal gelacht und mich gefragt, wie es die Frauen mit Seidenstrümpfen ohne sichtbare Laufmaschen und im Rock – nur wenige tragen Hosen – überhaupt auf die Bäume geschafft haben…
Doch war ich beeindruckt von der Qualität dieser Amateuraufnahmen bezüglich Komposition und Ausdruck. Jedes Foto hat eine andere Atmosphäre. Gesichtsausdruck, der ausgewählte Baum und die Art der Pose, scheinen auch etwas über die Persönlichkeit der Frauen zu verraten – manche stehen auf dem Ast wie Kapitäninnen auf ihrem Schiff, andere stehen mit wildem Blick auf einem zerzausten Ast…

Wie und warum haben Sie sich entschieden, das Buch zu verlegen?
Ulrike Ruh: Für mich war sehr schnell klar, dass ich mit den Fotos ein Buch machen wollte und hatte von Anfang an eine konkrete Vorstellung davon, wie es aussehen sollte. Letztlich konnten sich dann auch die Kollegen dem Witz und Charme des Materials nicht entziehen, und wir haben uns dazu entschlossen, dieses außergewöhnliche Bändchen zu publizieren.

 

Jochen, wie war die Zusammenarbeit an dem Bildband?
Die Zusammenarbeit war und ist bis heute sehr eng und sehr gut. Denn selbst jetzt, wo das Buch erschienen ist, habe ich noch Kontakt zur Presseabteilung und zum Vertrieb. Es kommen immer neue Anfragen, bisher vor allem aus dem Ausland.
Aber von vorne: Ende Februar kam der Anruf, dass Hatje Cantz ein Buch mit den Frauen auf Bäumen machen möchte. Ulrike Ruh rief mich an und sagte mir außerdem, dass der Verlag es gerne zur Art Basel fertig haben möchte. Also von da an noch ungefähr 14 Wochen. Nicht unmöglich, aber knackig. Zunächst mussten die Bilder nochmals von einem Profi gescannt und bearbeitet werden, ein Vorwort musste geschrieben werden. Der Profi zum Scannen war Jan Scheffler. Ich bin dann also nach Berlin gefahren, im Gepäck die historischen Fotos der Frauen auf Bäumen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, sie in einem  Paket auf die Reise zu schicken. Alles richtig gemacht, denn Jan empfing mich und die Bilder sehr herzlich und erläuterte mir sehr genau die einzelnen Schritte, scannen, bearbeiten, welches Papier er für das Buch dem Verlag vorgeschlagen hatte, etc. Und die Scans wurden ausgezeichnet. Vorher sah man – etwas übertrieben ausgedrückt – einen Baum, auf dem eine Frau saß. Nun sah man sogar die feinste Maserung der Baumrinden – unglaublich was da noch an Zeichnung möglich war. Bei diesem Berlin-Aufenthalt lernte ich auch Frauke Berchtig kennen, die mein Buch als Projektmanagerin von Anfang an begleitete. Die tolle Gestaltung hat Gabriele Sabolewski umgesetzt. Mit ihr besprach ich dann auch Titelmotiv, Andrucke, Satzfahnen, Blaupausen, Korrekturen, etc. Dem ganzen Team von Hatje Cantz also nochmals: Herzlichen Dank!

Wie war es für Dich, als Du das erste Mal das Buch in den Händen gehalten hast?
Es war natürlich sehr aufregend. Es ist ja mein erstes Buch! Anlässlich des Fotofestivals »Horizonte« in Zingst an der Ostsee Ende Mai, wo auch einige meiner »Frauen auf Bäumen« in der Gruppenausstellung »One World« gezeigt wurden, sah ich das Buch etwa zwei Stunden vor der Ausstellungseröffnung zum ersten Mal. Es wurde direkt von der Druckerei dorthin geliefert. Im wahrsten Sinne des Wortes druckfrisch. Vielen Dank auch hier nochmal an das ganze Team von Hatje Cantz, die dazu beigetragen haben! Es war ein ganz wunderbarer Tag!

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Frau Ruh, die »Frauen auf Bäumen« sind offenbar ein international interessantes Phänomen.Haben Sie damit gerechnet?
Ulrike Ruh: Da kann man sich ja nie ganz sicher sein, aber ich hielt die Wahrscheinlichkeit, dass es sich so entwickeln würde, für hoch. Dass es nun auch so eingetroffen ist, macht uns im Verlag sehr glücklich.

Mittlerweile berichten internationale Medien wie Vogue Italien, AnOther Magazine & Co. über das Buch, Du gibst Radio-Interviews und Anfragen vom Fernsehen hat es auch schon gegeben – wie fühlt sich das an?
Es passiert gerade soviel – nationale und internationale Presse berichtet darüber. Ich habe Libération aus Frankreich ein Interview gegeben, Vogue Italien, SZ-Magazin, Gala, Radio-Interview für den Bayerischen Rundfunk um nur einige zu nennen, dazu die Anfrage vom Fernsehen… alles richtig klasse! Aber ich freue mich am meisten darüber, dass die Frauen auf den Bäumen jetzt einem breiteren Publikum vorgestellt werden. Gerade wenn ich Bilder auf auf dem Flohmarkt finde, dann sind sie kurz davor verloren zu gehen, weggeworfen zu werden. Ich habe dies schon sehr oft erlebt, wenn der Flohmarkt zuende geht und die Händler aussortieren nach »noch gut fürs nächste Mal« oder »wegwerfen«. Ist das nicht tragisch? Da achten wir das ganze Leben darauf, unsere Fotos – die Erinnerungen und die damit verbundenen Geschichten – gut zu behandeln und dann kann es sein, dass sie im Müll landen… Für mich ist all das Sammeln also auch eine Verbindung zur Vergangenheit. Und gegen das Vergessen.

Welches ist denn Ihr persönliches Lieblingsbild, Frau Ruh?
Ulrike Ruh: Da gibt es viele, aber zu meinen Favoriten gehört ein Foto, auf dem eine Frau mit einem Arm übermütig am Ast baumelt. Es ist auf der Rückseite des Umschlages abgebildet.

Und Jochen, was wünscht Du Dir außerdem für Deine »Frauen auf Bäumen«?
Einen Wunsch habe ich tatsächlich. Dass sie alle zusammen einmal nebeneinander an der Wand hängen, eine Ausstellung also. Verdient haben sie es!

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P.S.: Selbstverständlich kann man die Bilder über fotogloria lizensieren oder direkt für die Wand als Print bestellen, bitte HIER entlang.

Horizonte-Countdown 2016 | Caio Vilela

Die Faszination Fußball kennt keine Grenzen, keine Altersbeschränkung, keine Religionszugehörigkeit, keine Nationalität. Fußball wird einfach gespielt und das überall auf der Welt.

Mehr als 100 Länder hat Caio Vilela bereist und in jedem dieser Länder hat er Kinder gesucht und beim Fußballpielen gefunden. Daraus entstanden ist eine beeindruckende Sammlung von Straßenfußballbildern

Zu sehen ist die Arbeit »Straßenfußball« jedenfalls ab Ende Mai in der großen Gruppenausstellung »One World« während des Umweltfotofestivals »Horizonte Zingst« – zusammen gestellt von Kurator Klaus Tiedge (Erlebniswelt Fotografie Zingst) und Co-Kuratorin Edda Fahrenhorst (fotogloria).

Alle Bilder aus der Ausstellung und noch ein paar mehr können Sie übrigens über die fotogloria-Bilddatenbank lizensieren – bitte HIER entlang.

© Caio Vilela _ fotogloria 3

WHAT
Project Football Without Borders was born by accident in 2003 during an assignment trip in central Iran. After taking picture of kids playing football in the main square of Yazd I had the spark: from now on, I will keep my eyes open for street football kids out there. As I travel very often on journalism assignments or guiding groups, I had the chance of seeing and shooting street football in several places.

WHERE
So far I have pictures of street football in more than 100 countries (all continents plus Antarctica) and in all 27 brazillian states.

WHY
Soccer happens. Not only in Brazil but all over the world. Every single day, anywhere, at anytime. It doesn’t choose its players based on religion or race. Far from the football match on our TV screen, the World Cup events and the championships of the mega-sponsors with their billions of dollars competitions, there’s another – and more truthful –  football: the football played by children on any open field. To me these images shows unique shining moments of unknown weekend players in action on golden days to some people’s childhood or youth.

What fascinates me most about the set of images chosen for this exhibition is that I have registered golden moments of some anonymous talented kids. All these boys and girls have now an opportunity to shine in these enlargements, just like they shine every single day in a dirt pitch, away from the eyes of a talent scout. The plays displayed in these prints are the result of pure chance. They are here because there was a photographer in that pitch at the very moment they were playing.

On any given improvised squad, gathered in the hit of the moment just for fun, there was a boy that in near future will no longer live close to that field. Another one will start to work and probably will stop playing. They will all grow up. Maybe some of them will keep playing together for some years. Maybe some of them will turn into professional footballers. But there’s no way that the same game, with the same plays and players will ever repeat themselves the same way and on the same ground, like in the day I took their pictures.

Imagine how many brilliant goals Tostão, Pelé, Zico or Ronaldo must have scored as kids on an improvised dusty pitch with no TV cameras there to show the world.
I wish I had seen those guys playing during their childhood and had the chance to register their shine with the same vibe I felt while photographing what you see in this exhibition.

© Caio Vilela _ fotogloria 2

HOW
My method is simple: I ride around (on a taxi, rental car or bycicle) at 5pm, loking for kids with football jerseys. Then I ask where there may be people playing (in late afternoon there is always people playing! You can fly me to arctic Russia and I’ll be able to find the football kids!). Then, if the match is already happenning by the time I arrive at the football pitch, I just ask permission for the goalkeeper, sit on th ground and wait for the action to happen in front of my lens. If it is a serious match, I keep myself out of the field limits. If it a fun kids game, I feel confortable to get inside and take closer shots.

I approach the pitch like an eager striker and nervous as a defender, willing to see the ball being kicked towards the goal like a forward. At the end of the match, I am sweating and covered in dust, feeling like a player who has just scored a goal.

Taking pictures during a soccer match is at the same time similar and totally opposite of photographing a dance presentation: both are an exercise of agility, timing and blending in with the environment, with no interference. During a ballet, the lens points to a small limited space, where choreographed predictable moves will take place. While in a soccer pitch, action is everywhere. Anarchy and improvisation runs the show and that can drive dizzy the most experienced photographer. You have to foresee the right moment to press the button, predict when one body unblock the sight of another, in that split second when productivity struggles against the clock.

Just like dancers, amateur soccer players will probably not run, jump, fall on the ground and bring out their bodies best performance for more than one hour. Whenever I come across a thrilling spontaneous match, I have to run and hopefully produce two or three really good pictures. You can never tell if that game has just started or is about to come to an end.

P.S.: Die großartigen Fußballbilder von Caio Vilela sind 2015 in einem Buch zusammengefasst unter dem Titel »Straßenfußball« im Spielmacher-Verlag erschienen – mehr Infos gibt es HIER.

Die Sammlung Raiß: Fotografische Schätze

So ist das mit der Fotografie – wenn man sie liebt, lässt sie einen nie los. Bestes Beispiel dafür: Jochen Raiß, Mitinhaber und einer der drei Geschäftsführer von fotogloria. Kaum hat er sein Tagwerk im Zeichen der fotografischen Unternehmenskommunikation erledigt, widmet er sich seiner privaten Sammelleidenschaft, der historischen Amateurfotografie. Seit nunmehr 25 Jahren jagt er dem besonderen Bild auf Flohmärkten & Co. hinterher und hebt immer wieder  fotografische Schätze aus verstaubten Fotoalben.

Im Laufe der Jahre sind so skurrile, wunderschöne, humorvolle, ästhetische Bildstrecken und Fotomomente entstanden, die vor allem eines eint: Sie verraten sehr viel über Jochens liebevollen und ganz besonderen Blick auf die Welt.

Deshalb freut es uns sehr, dass jüngst das erste Magazin auf die Sammlung Raiß aufmerksam geworden ist – die »11 Freunde«. In diesem Fall natürlich mit dem Schwerpunkt Fußball, zeigt das Heft über vier Doppelseiten die schönsten Stücke aus Jochens (Fußballmomente-)Sammlung. Und ganz aktuell werden seine »Frauen auf Bäumen« bei Spiegel Online gezeigt.

Mehr als Grund und Anlass genug, Jochens Leidenschaft auch auf dem fotogloria-Blog zu würdigen und ihn außerdem ausführlich dazu zu Wort kommen zu lassen. Viel Spaß!

Sammlung Raiss 1

fotogloria: Warum sammelst Du historische Fotos? Warum keine Zeitgenossen?
Jochen Raiß: Das ist eine sehr besondere und doch so nahe liegende Frage, die mir bisher aber nicht gestellt wurde! Heute würde ich sagen, dass mich die schwarz/weiss Ästhetik sehr anspricht und historische Aufnahmen eine ganz andere Wirkung bei mir erzielen. Sowohl wegen des Stils, als auch wegen der historischen Begleitumstände, die sie widerspiegeln.
Es gibt auch zeitgenössische, schöne und besondere Aufnahmen mit Menschen. Vielleicht sind diese aber auch zu nah an mir und meinen Lebensumständen dran.

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Wie bist Du zum Sammeln gekommen ?
Zu Beginn meines Studiums in Frankfurt ging ich sehr oft und regelmäßig auf Flohmärkte. Am Mainufer gab es jeden Samstag – ich hoffe es gibt ihn immer noch – einen Flohmarkt, auf dem man alles kaufen konnte. Vor allem eben auch schöne alte Sachen von Möbeln über Bücher bis hin zu tollen alten Herrenhemden. Alles eben. Auf dem Flohmarkt habe ich mir dann irgendwann die erste alte Amateurfotografie gekauft.  Ich habe sie als Lesezeichen benutzt, weil ich sie so besonders schön fand. Das »Lesezeichen« hat mich dann mit dem Roman begleitet und noch mit weiteren Romanen. Die Bücher wanderten dann ausgelesen ins Bücherregal und das »Lesezeichen« in ein Kästchen, heute würde ich wohl sagen »Schatzkästchen«. Dann habe ich mir irgendwann das nächste Lesezeichen gekauft. Und so ging es immer weiter. Aus dem Kästchen wurden eine Kiste und später ein Karton. Aber da hatte ich schon längst angefangen, gezielt nach alten Amateurfotografien zu stöbern.

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Und welches sind Deine Schwerpunkte beim Sammeln?
Von Anfang an haben mich vor allem Fotografien mit Menschen angesprochen. Menschen, die ich  nicht kenne und deren Namen ich meistens auch nicht erfahre, sowie ich deren wirkliche Lebensgeschichte niemals kennen werde. Denn die Fotografinnen und/oder Fotografen der Aufnahmen sind allesamt unbekannt, Orte und Umstände ebenfalls. Manchmal ist eine Jahreszahl auf der Rückseite des Fotos notiert, manchmal auch ein Vorname, meistens aber nichts. Das lässt viel Raum für Geschichten, die dann in meinem Kopf entstehen. Ich kann nichts dafür, bzw. dagegen machen. Insofern ist es für mich eher von Vorteil, dass ich nichts über die Menschen weiß, denn das lässt viel Raum für Fantasie – da geht das Kopfkino an und das ist ein wunderbares Erlebnis. Und es sind zum Teil so sehr schöne ästhetische Aufnahmen dabei.
Es gibt also sozusagen einen übergeordneten Schwerpunkt »Menschen«. Und dann gerne auch besondere und lustige Situationen. Obwohl das Medium Fotografie früher so sehr viel weniger und bedachter privat genutzt wurde als heute – nicht zuletzt war es ja auch sehr kostspielig mit den Filmen und dem Entwickeln – haben die Menschen auch viel Quatsch vor der Kamera gemacht. Selfies gab es früher zum Beispiel auch schon. Es wurde also nicht nur dokumentiert. Und dann gab es die damals »unangenehmen« Doppelbelichtungen. Etwa: Im Urlaub gewesen, die Ehefrau vor Neuschwanstein fotografiert und dann ist auf einmal das Frühstücksbüffet im Gasthof »Zur Sonne« quer drübergelegt. Da war die Aufnahme dahin – ganz schöner Mist. Aber wie sehr freue ich mich heute über so manche Doppelbelichtungen. Leider gibt es diese Art von Wundertüte in der heutigen Fotografie nicht mehr!

Fußballmomente sind mir auch sehr wichtig, weil ich Fußball so sehr liebe. Ich spiele auch selbst  aktiv im Verein (mit meinem Freund und Geschäftspartner Mika bei Komet Blankenese 1907 e.V.). Von Anfang an habe ich bei den »Lesezeichen« auch immer darauf geachtet, ob ich nicht auch Bilder mit Fußballszenen finde. Das schöne an den Amateuraufnahmen von Amateurspielen ist ja, dass sie die Freude an dem Spiel so sehr ausdrücken, und die Seh-Gewohnheiten der »Profi-Fußballfotografiesprache« aufbrechen. Man sieht mitunter fröhlich lachende Menschen einem Ball hinterherlaufen. Das hat man bei Bundesligaspielen einfach nicht. Auch wenn die Spieler sicher dort genauso viel Spaß an ihrem Sport haben mögen, man sieht es ihnen einfach oft nicht an!

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Wie viele Bilder umfasst Deine Sammlung?
Obwohl ich nun fast genau 25 Jahre sammele, ist es doch noch recht übersichtlich. Genau weiß ich es gar nicht, aber ich denke , es sind nicht mehr als 1.000 Bilder, aber auch nicht viel weniger. Ab und an schaue ich sie mir tatsächlich (fast) alle an. Das macht richtig Spaß. Denn viele, die ich schon sehr lange habe, entdecke ich dann manchmal neu – das heißt vor allem, dass ich dann neue Geschichten dazu im Kopf habe.

Was muss ein Bild für Dich haben, damit es in Deine Sammlung aufgenommen wird?
Es muss darauf etwas passieren, was in mir etwas auslöst. Da ich ja vor allem Bilder mit Menschen sammele, klassische Portraits interessieren mich dabei weniger, nenne ich das immer »Menschen in ungewöhnlichen Situationen«. Es passiert eigentlich schon in dem Moment, in dem ich ein Bild sehe. Es spricht mich an oder nicht. Wie vorher schon erwähnt, besitze ich eigentlich gemessen an der Dauer des Sammelns eher wenige Bilder. Ich kaufe sehr gezielt, keine ganzen Fotoalben oder dergleichen. Manchmal komme ich mit nur einem oder auch keinem Bild vom Flohmarkt zurück.
Es kam auch schon vor, dass ich ein ganzes Album durchblätterte und eine einzelne so herausragende Fotografie entdeckte – zwischen wirklich vielen mittelmäßigen oder gar schlechten Aufnahmen – sodass man hätte denken können, die gehört da nicht rein. Abgesehen davon, ist das ja auch sowieso alles sehr subjektiv. Aber es war definitiv dieselbe Frau auf dem Bild wie auf allen anderen Bildern in dem Album auch. Ebenso erging es mir mit einem der schönsten Fußballbilder meiner Sammlung. Auch dieses fand ich in einem Album mit ganz gewöhnlichen Aufnahmen. Ein toller Schnappschuss eben!

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Wo kann man Deine Sammlung sehen und vor allem auch: Kann man die Bilder kaufen?
Ja klar! Alle Motive aus der 11 Freunde-Publikation etwa sind in der fotogloria-Bilddatenbank zu sehen und können von Redaktionen & Co. lizensiert werden – bitte HIER entlang. Noch mehr Fußballmomente und auch andere Motive sind auf meinem Sammlungs-Blog zu finden: www.imperfekt.photography. Dort zeige ich – geordnet nach Themen – Auszüge aus den verschiedenen Kollektionen. Z.B. gibt es neben der Galerie »Historische Fußball-Amateuraufnahmen« noch weitere Galerien wie »Momente«, »Doppelbelichtungen« oder »Frauen auf Bäumen« (eine meiner Lieblingskollektionen – bitte anschauen). Aber tatsächlich digitalisiere ich momentan die Sammlung und es ist noch längst nicht alles zu sehen – wiederkommen lohnt sich also.
Ach übrigens: Die Bilder sind natürlich auch alle als Print zu bestellen – einfach Nachricht an jochen.raiss@fotogloria.de.

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Horizonte-Countdown 2015 | Jordi Busque

Sieben fotogloria-Fotografen sind in diesem Jahr in der großen Gruppenschau »One World« beim achten Umweltfotofestival »Horizonte Zingst« zu sehen. Eröffnet wird am 30. Mai und bis dahin stellen wir Ihnen jeden Tag einen der ausstellenden Fotografen und seine Arbeit vor. Heute zeigen wir Ihnen die Strecke »The Mennonites of Bolivia« von Jordi Busque. Viel Spaß!

fotogloria _ Jordi Busque _ Mennoniten _ 1

WHAT
My series »The Mennonites of Bolivia« documents the lives of little known religious communities, of European decent, in Eastern Bolivia. Mennonites are Christians, living in isolated farming communities and fiercely protective of their privacy. They reject modern technology and follow a way of life that has not changed since the 16th century. They tend the fields and raise cattle mostly to produce cheese. Their language is an old dialect of medieval German called Plattdeutsch. They don’t allow marriage outside their community.
Their core belief is what they call »the narrow path«. By choosing a difficult road, instead of the comforts of modern society, they can be closer to God.

WHERE
As the 21st century brings modernity almost everywhere, Mennonites have found a place to settle in what they perceive is a little developed Bolivia, where they have enough isolation and freedom to follow their tradition without having to compromise their values.

WHY
I want to document a lifestyle that has all the chances to disappear in the modern and globalized 21st century.

fotogloria _ Jordi Busque _ Mennoniten _ 3

HOW
It is important to know that in these communities photography is usually taboo. It took much time and gentle prodding to be finally allowed to be in their midst and photograph their lives. Extreme patience is the key on how I obtained these photograph.

WHO
Jordi Busqué is an award winning photographer and former astrophysicist. His photographs and texts have appeared in some of the most prestigious publications including National Geographic Magazine (USA), Geo (Germany and France), El País Semanal (Spain), Lonely Planet Magazine (Spain), Science et Vie (France) and Terre Sauvage (France). Jordi divides his work between photojournalism, science and travel photography. He has traveled extensively around the world and he specializes in remote areas of South America.

P.S.: Schauen Sie sich gerne die ganze Serie »The Mennonites of Bolivia« von fotogloria-Fotograf Jordi Busque in der fotogloria-Bilddatenbank an – bitte HIER entlang.  Natürlich können Sie alle Motive auch für Ihre Zwecke lizensieren – melden Sie sich jederzeit unter 040 609 42 906 -0 oder info@fotogloria.de.

P.P.S.: Jordi Busques »The Mennonites of Bolivia«  wurden Ende 2014 auf vielen Seiten im Magazin Stern gezeigt, passend dazu haben wir Jordi für den fotogloria-Blog interviewt. Die ganze Geschichte finden Sie HIER.

P.P.P.S.: fotogloria vertritt Jordi Busque exklusiv in Deutschland. Über fotogloria können Sie ihn gerne für Ihre Ideen und Aufträge buchen. Melden Sie sich jederzeit unter 040 609 42 906 -0 oder info@fotogloria.de.

 

Sternenbild für Siemens von Jordi Busque

„Weltraumforschung beginnt in der Fertigungshalle“. Der Satz ist einprägsam und das Motiv – das der Weltkonzern Siemens für seine neue Anzeigenkampagne gewählt hat – auch: Die Milchstraße. Erdacht ist das Konzept von Ogilvy One in Frankfurt, fotografiert hat das Sternenbild fotogloria-Fotograf Jordi Busque. Wir haben ihn dazu befragt.

fotogloria: Jordi, wo bist Du gerade und woran arbeitest Du?
Jordi Busque: Ich bin seit fast 3 Monaten in Patagonien und arbeite aktuell an verschiedenen Reportagen. Ich dokumentiere etwa die letzten Exemplare von Lebensformen aus der Vergangenheit. Und immer wieder arbeite ich an meinem sehr persönlichen Thema: Landschaften im Licht der Dunkelheit bzw. der Sterne.

Eines Deiner Himmelbilder hat Siemens für eine große Anzeigenkampagne ausgewählt – Glückwunsch! Was ist auf genau diesem Bild zu sehen, wie und wo ist es entstanden?
Im Bild sieht man die Milchstraße und die Magellanschen Wolken (beides Galaxien, die der unserer sehr nahe stehen) über einem Lenga-Südbuchen Wald in Argentinien, Patagonien.

Du bist von Hause aus Astrophysiker – wie bist Du zur Fotografie gekommen?
Seit meiner Kindheit interessiere ich mich für die Wissenschaften, vor allem für die Astronomie. Ich habe Physik studiert und mich dann auf Astrophysik spezialisiert. Als ich dann im Berufsleben merkte, dass ich quasi nur noch vor dem Computer irgendwelche Berechnungen durchführte, hatte ich das Gefühl, dass das Leben an mir vorbei rauscht und ich es verpasse. Also entschied ich, mich meinen beiden anderen Leidenschaften – der Fotografie und dem Reisen – zu widmen.  Ich fing an, Reportage zu fotografieren, über die Dinge, die mir auf meinen Reisen über den Weg liefen. Glücklicherweise genieße ich jetzt auf meinen Reisen sehr viel mehr die Sternenhimmel als früher während meiner wissenschaftlichen Forschungen.

Was wünschst Du Dir für Deine fotografische Zukunft?
Ich werde weiterhin interessante Dinge entdecken und dokumentieren – immer in der Hoffnung, dass sich Redakteure, Magazine, Agenturen für Themen mit etwas Tiefe interessieren.

 

* Jordi Busque ist Bildjournalist, Reise- und vor allem Wissenschaftsfotograf – für die Fotografie entschied er sich nach jahrelanger Tätigkeit als Astrophysiker an der Universität von Barcelona und dem Institut für Astrophysik in Paris. Für seine Arbeiten wurde er bereits u. a. mit dem Titel »BBC Photographer of The Year» ausgezeichnet. Seine Themen sind immer wieder der Sternenhimmel, aber er begleitete auch die Mönche von Vietnam oder lebte und fotografierte bei den Mennoniten in Bolivien. Jordi Busque lebt in Barcelona.

HIER sind die Arbeiten von Jordi Busque zu sehen – auch seine Sternenbilder. Und natürlich kann man ihn auch für Aufträge buchen – melden Sie sich gerne und jederzeit unter 040 609 42 906 oder info@fotogloria.de.