Berthold Steinhilber aus Stuttgart hat sich in den vergangenen Jahren mehrere fotografisch-finanzielle Standbeine geschaffen. Mit der Krise sind gleich mehrere davon ins Wanken geraten – was ihn dazu bringt, ganz grundsätzlich und laut bei den #FacesOfPhotography über mögliche künftige Modelle nachzudenken:
Wie geht es Dir?
Es muss – dem hiesigen süddeutschen Idiom nach übersetzt bedeutet dies, den Umständen entsprechend gut oder es könnte deutlich schlimmer sein. Meine Fotografenseele sagt, die Lage ist aussichtslos, aber ich bin voller Hoffnung.
Persönlich gibt mir die Coronakrise viel Stoff zum Nachdenken. Wir sind in einem Lebensabschnitt, in dem wir uns um unsere kranke Eltern kümmern. Beide Mütter sind Pflegefälle, die Geschwister und wir hatten vor allem zu Beginn der Krise sehr viel Angst um sie. Die Angst schwindet etwas und wir arrangieren uns mit einer Kombination aus Hygiene und Abstandsregeln, die ein Zusammenleben wieder zulässt.
Ich konnte die letzten Wochen auch immer das Haus verlassen, die 10 Minuten zum Atelier rübergehen und dort am Rechner weiterarbeiten und zum Glück konnte ich auch immer wieder in meinen geliebten Wald. Ein Ritual beim Heimkommen war, auf dem Balkon stehend über die stille Innenstadt von Stuttgart zu schauen und dem allabendlichen Vogelkonzert zu lauschen. Eine solche Stille gab es noch nie in dieser Stadt. Das ändert sich gerade wieder.
Ich war allerdings die letzten Wochen nicht im Stande, mich fotografisch mit der Coronakrise auseinanderzusetzen. Es gab auch Aufrufe meiner Agentur laif, aber weder Bilder von Menschen mit Masken, leere Innenstädte noch abgesperrte Kinderspielplätze waren für mich persönlich Bilder, die ich hätte machen können. Sie zeigen mir eine Gegenwart, aber diese Krise öffnete für mich Abgründe, für die ich im Moment weder Worte noch Bilder habe.
Col de la Bonette aus dem Buch „Passbilder – Landschaften der Alpenpässe“.
Was hast Du seit Beginn des Shutdowns beruflich erlebt?
Bei mir wurden schon Ende Februar die ersten Aufträge storniert oder zurückgestellt. Im ersten Quartal fotografiere ich normalerweise sehr viele Corporate-Aufträge für Stiftungen und Unternehmen (Portraits), die mir einen Großteil meines Einkommen aus Aufträgen einbringen. Anfangs der Coronakrise wurde die Aufträge noch in den Sommer verlegt, aber mittlerweile wurden alle für dieses Jahr abgesagt. Bebildert werden diese mit dem Material der letzten Jahre. Ich kann die Entscheidungen der Verantwortlichen sehr gut nachvollziehen, es bleibt ihnen auch gar nichts anderes übrig, der finanzielle Ausfall lässt sich aber garantiert nicht stopfen.
Ich habe vor Jahren schon angefangen, meine Einkommensquellen auf mehrere Standbeine zu verteilen. Das ging bisher sehr gut, wobei jetzt doch mehr Beine als erwartet schrumpfen und schwanken. Da werde ich bei dem ein oder anderen ordentlich was unterlegen müssen.
Woran arbeitest Du zur Zeit?
Ich arbeite wie immer an (viel zu) vielen eigenen Themen. Ich skizziere mal drei davon, wobei eines noch im Anfangsstadium ist und ich es als solches unter „ungelegte Eier“ einsortiere.
Ich fotografiere Menschen, die sich sehr viel Gedanken machen, woher unser Essen kommt, wie es produziert wird, wie es um das Wohl von Mensch und Tier steht. Es sind alles Einzelkämpfer und ich bewundere ihr Tun und wir sollten ihnen mal zuhören und schauen, was sie machen. Interessanterweise verdiene manche von ihnen während der Coronakrise besser als vorher. Sie scheinen also etwas richtig zu machen. Ihre Kritiker aus der Industrie sagen oft, das wäre doch ein Rückschritt. Manchmal ist ein Schritt zurück genau dann richtig, wenn die nächsten beiden Schritte in den Abgrund führen würden. Es kommt nicht darauf an, dass man stur immer weiter macht, sondern sich den Weg, den man gehen will genauer anschaut und es der Richtige ist.
Wie beim Bergwandern. Da kannst du auch nicht nur geradeaus und immer weiter nach oben gehen, die Topographie gibt dir den Weg vor.
Das führt mich zum nächsten Projekt. Ich fotografiere seit 2018 eine sehr schöne Landschaftsgeschichte in den Alpen, die 2021 als Buch veröffentlicht werden soll. Ich hoffe, dass ich im Juli wieder fotografieren und im Zeitplan bleiben kann. Sobald die Grenzen in die Alpenländer offen sind, kann ich loslegen. Ob das so klappt, wird sich zeigen. Genügend Abstand zu meinen Mitmenschen hätte ich dann sicherlich.
Das dritte Projekt ist eine Mega-Mammut-Projekt über unser Land und ist in dieser Phase das „ungelegte Ei“. Das Projekt wird so umfangreich werden, dass ich auch die dazugehörige datenintensive Website des Projekt selber gestalten will. Ein kompletter Wahnsinn.
Dazu habe ich die Corona-Zwangspause genutzt, um mich erst einmal in die technischen Finessen von WordPress und Datenbankwissen einzuarbeiten. Mit diesem Wissen habe ich parallel meine Website selber neu gestaltet und umgestellt.
Dann bastle und löte ich wieder an einigen Lampen, mit denen ich meine Lightworks Bilder beleuchte – ich brauche da für ein noch wieder anderes Thema noch eine spezielle Lampe und hatte mir bisher nie die Zeit dafür nehmen können, die mal zu bauen. Jetzt werde ich sie testen und kann sie dann einsetzen.
Portraits in Zusammenarbeit mit dem Künstler Emeka Ogboh, Kunsthalle Baden-Baden.
Was bedeutet die Krise Deiner Meinung nach für die gesamte Fotobranche?
Ein heftiger Einschlag, der Rauch hat sich noch nicht gelegt, der Schaden lässt sich momentan nicht genau beziffern, die Orientierung fällt noch schwer und Auswege sind nicht auszumachen. Nicht jeder ist gleichermaßen davon betroffen, das macht die Sache keinesfalls einfacher. Wohl dem, der vorsorgen konnte. Die Event- und Reisefotografie liegt am Boden, Portraitfotografen nehmen ihre Arbeit langsam wieder auf, ein Teil der Pressefotografen hat gut zu tun, dem Großteil der Fotografen geht es aber miserabel. Und keiner weiß, ob es nicht eine zweite Welle im Herbst-Winter geben wird.
Ich weiß, dass unsere Lobby in dieser Krise nicht größer wird und sie momentan nicht einmal mit dem besten Makro-Objektiv abzubilden ist.
Man kann nur gebetsmühlenartig und zum x-ten mal appellieren, ähnlich einem Ave-Maria oder Mantra, mit der Hoffnung, dass die vielen Wiederholungen helfen: kauft bei den richtigen Leuten ein, bezahlt sie angemessen und gerecht und verhindert Dumping-Preise, damit die Fotografie am Leben bleibt.
Wie kommt man aus der Krise, was wäre ein sinnvoller Weg? Wo soll man anfangen? Wer könnte anfangen?
Ein Konjunktur- und Förderprogramm für Fotografen? Klingt komisch, aber warum nicht. Wie bei den Landwirten. Vielleicht sogar europaweit, Solidarität für unsere europäischen Kolleg*innen. Oder Stipendien für Newcomer und erfahrene Profis gleichermaßen. Themen die relevant sind, gibt es genug. Eine Kulturnation könnte das stemmen. Natürlich würde das den Verlust nur lindern, wäre keine All-in-one Lösung, aber irgendwo kann man ja anfangen.
Ist eine Form von Mindestlohn bei Aufträgen denkbar, aufgeschlüsselt nach Kriterien ähnlich der MFM Liste, ausgehandelt von den Berufsverbänden inkl. den ausgewiesenen Abgaben der Auftraggeber an die Künstlersozialkasse?
Wäre das anfangs machbar, wenn es sich bei den Auftraggebern um Bund, Länder, Anstalten des öffentlichen Rechts, Universitäten etc. handelt? Gefolgt von der Wirtschaft im zweiten Schritt. Würde das die Abwärtsspirale abbremsen? Die Microstockagenturen aus den USA hätten das Nachsehen, es gäbe heftigen Widerstand aus vielen Ecken, aber für viele Freischaffende Planungssicherheit und eine erste Form von Grundsicherung. Die Preise nach oben für mehr Qualität, Aufwand oder Exklusivität würden bestehen bleiben.
Alles sinnlose Gedankenspiele? Lehrt uns die Krise etwas, finden wir Auswege?
Was bedeutet Dir die Fotografie?
Sie ist meine Sprache. Die Fotografie ist ein magisches Medium, etwas einzigartiges, das nur sie kann.
Noch nie zuvor in der Geschichte schauten Menschen sich so viele Bilder an. Es muss also etwas geben, dass sie fasziniert. Das Wissen um die unglaubliche Anzahl an Bildern, die jeden Tag im Netz hochgeladen werden, diese enorme Bilderflut ist ein kaum lösbares Problem, nicht mehr überschaubar. Ist es vielleicht nicht eher ein Problem des Konsums, des Umgangs und der Verarbeitung von Daten, als eines der Fotografie an sich? Die Faszination und das Interesse an der Fotografie ist da. Das Konsumieren und den Preisverfall müssen wir in den Griff bekommen. Da müssen wir ansetzen um Ideen zu entwickeln.
Eimerkettenbagger Mad Max, Ferropolis, Deutschland.
Was ist Dein persönlicher fotografischer Wunsch für die Zukunft?
Der ist eigentlich in diesen Zeiten komplett irrelevant. Der Virus wird so schnell nicht verschwinden, vielleicht erst dann wenn ein Impfstoff für alle verfügbar ist. Im Kopf aber wird die Corona-Krise bei vielen länger dableiben und wir müssen wohl lernen, mit den Folgen zu leben.
Die Gedanken, die viele Menschen in der Bevölkerung im Moment haben, dass es ein „weiter so“ eigentlich gar nicht mehr geben kann oder geben darf, fällt hoffentlich auf fruchtbaren Boden.
Natürlich wünsche ich mir, dass die Wertschätzung für Fotografie wie oben beschrieben an Bedeutung gewinnt. Das ist aber hypothetisch. Das wird nicht einfach so passieren, da bedarf es an Handlung.
Könnte sie so aussehen wie oben skizziert? Ich weiß es nicht, ich hätte auch noch weitere Ideen, wie das gelingen könnte. Allein ist es aussichtslos, verpuffte Energie. Ich kann meine Parameter und Preise für mich abstecken, das geht, dafür reicht die Power.
Ich bin Fotograf, allein, Einzelkämpfer, der seine Zeit und Energie sowieso schon einteilen muss und sich dann eher für die fotografischen Themen entscheidet. Ich weiß, das ist ein Grundsatzproblem unter den Fotografen und Künstlern. Austausch ist wichtig, aber lösen werden wir das nicht, wenn wir uns nur einmal zum Corona-Bier mit Mundschutz treffen.
Aber eines ist auch sicher, das sage ich aus voller Überzeugung: We Never Surrender…
Website von Berthold Steinhilber
Instagram-Feed von Berthold Steinhilber
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