Bertram Solcher ist Medizinfotograf und hat damit eine etwas andere Perspektive auf die Krise. Was das genau heißt, woran er arbeitet und was die Krise seiner Meinung nach für die Fotografie bedeutet, hat er den #FacesOfPhotogrpahy erzählt:
Bertram, was ist Dein fotografischer Schwerpunkt?
Ich mache Corporate Fotografie mit den Schwerpunkten Medizin, Wissenschaft und Technik. Wenn ich ehrlich bin, dann bin ich einfach unglaublich neugierig und es macht mir auch nach vielen Jahren noch Spaß in andere Welten einzutauchen. Hauptsache es sind Menschen dabei.
Was reizt Dich an medizinischen Themen?
Ich bin in einem Arzt-Haushalt aufgewachsen. Meine Schwester und ich haben als Kinder im Labor gespielt, wenn unser Vater Visite gemacht hat. Später hat mich der Klinik Fotograf in die Geheimnisse des s/w Labors eingeweiht und mit mir Bildbesprechungen gemacht. Dann habe ich selber Medizin studiert. Ich spreche und verstehe also die Sprache und ich kenne die Abläufe. Mich erschrecken die Themen Krankheit und Tod nicht und mit Chefärzten kann ich auch umgehen.
Fotografisch reizt mich die unglaubliche Vielfalt der Themen und die technischen Herausforderungen. Man muss sich immer wieder klarmachen, dass Patienten in einer Klinik, oder generell Kranke, Menschen in einem Ausnahmezustand sind. Die brauchen einen sensiblen und zurückhaltenden Fotografen. Meine Auftraggeber erwarten aber das besondere Bild, häufig also eine Gratwanderung. Glücklicherweise bin ich in der Lage mich im Hintergrund zu halten und beobachtend zu arbeiten. Da ich nicht so gerne inszeniere, kommt mir diese Arbeitsweise entgegen.
Technisch ist die Medizin-Fotografie anspruchsvoll, weil man sich an viele Bestimmungen halten muss. Der Datenschutz muss gewährleistet sein, es gilt Hygienebestimmungen einzuhalten. Wenn auf meinen Bildern Patientendaten zu erkennen sind, dann ist das ein kapitaler Fauxpas. Wenn ich im OP die Mitarbeiter oder Geräte unsteril mache, weil ich die nötige Distanz nicht einhalte, dann kostet das Zeit und sehr viel Geld. Hinzu kommt noch, dass Medizin meist an Orten mit schlechtem Licht stattfindet, man fotografiert also immer am technischen Limit.
Egal wo ich anfange zu arbeiten, ich bekomme immer einen riesigen Vertrauensvorschuss und den gilt es sorgsam zu behandeln.
Aufgrund Deines Schwerpunktes könnte man vermuten, Du hast zur Zeit gut zu tun – ist dem so?
Ich habe ab Mitte 2018 ein ganz tiefes Tal durchschritten. Die DSGVO hat bei meinen Medizin-Kunden zu einer regelrechten Panik geführt. Die Hausjuristen hatten in vielen Fällen unglaubliche Horrorszenarien entworfen und über zu erwartende Strafzahlungen in Millionenhöhe schwadroniert, falls Fotos ungerechtfertigt genutzt würden. Das wiederum hat in vielen Unternehmen zur Einstellung aller Foto Jobs geführt. Das hatte sich nun Anfang des Jahres gerade wieder gebessert, dann kam Corona. Ich habe einige journalistische Corona-Aufträge bekommen und seit Ende April gibt es auch wieder vereinzelte Corporate Aufträge. Im Moment berate ich viele Stammkunden darin, wie man unter den derzeitigen Bedingungen eine visuelle Unternehmenskommunikation gestalten sollte.
Um die Frage zu beantworten. Ich habe zu tun, aber noch nicht gut. Im Moment handele ich nach dem Prinzip „You need a job, invent one.“.
Du schaust mit einem anderen Auge als die meisten Fotografen auf die Krise – was siehst Du?
Ich weiß nicht, ob ich mit anderen Augen auf die Krise schaue. Medizinisch ist diese Krise für mich nicht zu fassen. Ich halte mich an die Regeln und hoffe, dass die Anderen das auch tun.
Mental hat die Krise bei mir eine ganze Menge verändert. Die ersten drei Wochen nach dem Shutdown war ich ziemlich deprimiert. Geholfen hat mir mein familiäres, visuelles Corona-Tagebuch. Noch heute bin ich völlig verblüfft wie unterschiedlich Bilder sein können, die alle am gleichen Ort aufgenommen und immer mit denselben Protagonisten bestückt sind. Diese Fotografie war wie eine Therapie für mich, sie hat mir geholfen mich nicht ausschließlich mit der Krise zu beschäftigen, sondern mehr an meine Familie und mich zu glauben und auch Positives zu sehen.
Wie beeinflusst die Krise, das Wissen um das Virus Deine Arbeit und Deinen Blick?
Ich denke, wir sollten den derzeitigen Zustand (Mitte Mai) als unsere neue Normalität akzeptieren. Wir werden auf absehbare Zeit kein Vorher mehr haben. Körperliche Nähe war ein Vertrauensbeweis, jetzt ist sie eine Bedrohung. Damit müssen wir klarkommen, auch fotografisch. Zusammenarbeit wird nicht mehr durch Nähe visualisiert werden können.
Das Virus hat in meiner Wahrnehmung den Umgang miteinander verändert. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die egal wie betroffen sie sind, nach vorne schauen und auf der anderen Seite stehen diejenigen, die ausschließlich schlecht gelaunt sind und die sich permanent darüber beklagen, dass der Staat und alle anderen nicht genug für sie tun. Ich habe beschlossen das Wort „Unternehmer“ mit Leben zu füllen. Dazu gehört für mich den Blick zu fokussieren, auch den fotografischen. Wahnsinnig spannend fand ich es übrigens meine Corona-Arbeiten direkt mit den Arbeiten von Magnum, VII oder NOOR Fotografen vergleichen zu können. Wir hatten alle die gleichen Bedingungen und wann hat man das schon mal, dass man sich so direkt vergleichen und hinterfragen kann. Ich finde übrigens, dass ich mich ganz ordentlich geschlagen habe. Sollte jemand anderer Meinung sein, möge er das bitte für sich behalten oder mir schonend bei einem Bier beibringen.
Woran arbeitest Du zur Zeit außerdem?
Wie gesagt, die ersten Aufträge trudeln wieder ein. Das beruhigt schon mal immens.
Und dann habe ich noch ein fotografisches Mammutprojekt angefangen: Ich fotografiere Menschen, die von Corona betroffen sind. Beim genaueren Hinsehen habe ich festgestellt, dass es niemanden gibt, der nicht in irgendeiner Weise betroffen ist. Etwa dreißig Personen habe ich bereits fotografiert. Die Großmutter, die sich nicht traut ihre Enkel zu besuchen, sitzt hinter einer Glastür, die Sargträger, die nur noch einen Bruchteil des Üblichen verdienen, weil die Trauerfeiern so kurz sind, stehen vor der Friedhofskapelle, der Bademeister steht im leeren Schwimmbad. Die Bilder bekommen keine Bildunterschrift, sondern werden nur mit dem Vornamen der Person und dem Beruf oder der Eigenschaft gekennzeichnet: Margot, Großmutter. Die Fotos sind in s/w, sehr dunkel und die Protagonisten habe ich angeblitzt. Siebzig weitere Ideen habe ich schon.
Was ist Dein persönlicher fotografischer Wunsch für jetzt und für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass wir gesundheitlich und wirtschaftlich mit einem blauen Auge aus dieser Krise kommen.
Fotografisch wünsche ich mir, dass Fotografie inhaltlich wieder schwergewichtiger wird. Ich wünsche mir weniger visuellen Analphabetismus. Ich würde mich freuen, wenn Fotografen wieder häufiger als Autoren wahrgenommen würden und weniger als die Besitzer von professionellem Kameraequipment.
Wirtschaftlich wünsche ich mir wieder mehr Unternehmertum, Innovationsbereitschaft und Neugierde und weniger Bürokratie und „haben wir schon immer so gemacht“.
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Corona-Tagebuch von Bertram Solcher bei Laif
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