Archiv, Website, Administration – auch das hat Lars Borges in den letzten Wochen erledigt. Vor allem aber hat er die Zeit genutzt, sich mit der Fotografie, mit Fotografen, mit neuen Ideen und Projekten auseinander zu setzen. Und damit, was die Fotografie eigentlich kann. Mit den #FacesOfPhotography hat er darüber gesprochen:
Was bedeutet Dir die Fotografie?
Ich bin zuerst einmal unheimlich dankbar, dass ich sie für mich entdeckt habe, denn ich weiß nicht, was ich sonst so mit meinem Leben angefangen hätte – ich bin dankbar für all die Begegnungen, Freunde, Kollaborateure und Unterstützer die ich im Laufe der Zeit haben und finden konnte.
In der Fotografie bündelt sich meine Interesse zuerst bei den Menschen und der Schönheit wie Traurigkeit des Lebens, aber auch bei der Kunst, Gesellschaft und Politik. Es ist ein Weg für mich, die Welt anhand meiner eigenen Erfahrungen zu erleben und vielleicht zu begreifen, mich auszudrücken, Leute kennenzulernen, Spaß zu haben, zu reisen, aber eben auch Geld für meine Familie und mich verdienen zu können ohne dabei jemals gelangweilt zu werden, weil die Herausforderungen doch immer wieder neue sind.
Fotografie ist eine Eintrittskarte zu Leben und Orten die ich sonst vielleicht so nie kennengelernt hätte. Ich durfte bisher nicht die ganze aber doch die halbe Welt bereisen und einiges an Abenteuern erleben – das entspricht meinem Charakter einerseits, um aber dann ein halbwegs adäquates Foto von einer Person oder Ort machen zu können muss ich mich einfühlen und intellektuell wie emotional die Zusammenhänge und Lebenskontexte der Fotografierten verstehen! Oder selbst auch ganz pragmatisch die Bedürfnisse eines kommerziellen Kunden – auch diese muss man durchleuchten und verstehen um ein „richtiges“ Bild machen zu können.
Das macht mir insgesamt alles insgesamt sehr viel Spaß und ich bin froh und dankbar diesen Weg bereits eine Weile gehen zu können und immer mehr zu lernen, mich zu verbessern. Ich mag außerdem den Prozess des Fotografieren selbst sehr. Wenn man ein Motiv spürt und es dann schafft, diese Emotion fotografisch umzusetzen und einzufangen, ist es ein unglaublich tolles und befriedigendes Gefühl. Klick. Boom. Aber es ist wie ein Sport, man muss regelmässig trainieren.
Was hast Du beruflich in den letzten Wochen und Monaten erlebt?
Natürlich sind vorerst alle Job-Shoots komplett auf null heruntergefahren. Wir sind jedoch genau zu der Zeit umgezogen und ich hatte mir vorgenommen im April etwas weniger zu arbeiten… Von daher ist mir das zuerst gar nicht so aufgefallen, denn es gab genug zu tun. Vielleicht habe ich mir etwas mehr Zeit dafür genommen als ich sonst gehabt hätte. Außerdem habe ich viel von zu Hause gearbeitet, um Homeoffice und Homeschooling unter einen Hut zu bringen. Ich habe viel über Fotografie gelesen und mir einige Fotobücher gekauft und vor allem wahnsinnig viele Podcasts mit Fotografen gehört. Und als ich dann davon genug hatte, ging es langsam wieder los mit Anfragen und Projektplanungen. Ich hatte glücklicherweise nun bereits zwei größere kommerzielle und drei kleinere Magazin/Portraitjobs, das ging auch unter Einhaltung der Coronaauflagen ganz gut und die Fotos sind schön und soweit ich bisher weiß, ist niemand krank geworden. Das stimmt sanft optimistisch. Tok Tok Tok.
Hast Du an freien Projekten weitergedacht oder -gearbeitet?
Ja… Ich habe ganz konkret mein Archiv seit 2008 durchgeschaut, denn ich dachte wenn nicht jetzt dann vermutlich niemals… Oft schaffe ich es im Joballtag – zwischen Deadlines und der Vorbereitung für das nächste Shooting – einfach nicht, die besten Fotos eines Jobs rauszusuchen und zu bearbeiten oder von meinen Reisen mitgebrachte eigenen Fotos und kleine Essays zu editieren. Das saß mir im Nacken, aber ich habe es jetzt nachgeholt und das war und ist sehr befreiend.
Außerdem ist meine fotografische Persönlichkeit in den letzten Jahren gereift und bestimmte Bilder von einem anderen Winkel aus nochmal zu betrachten, war sehr interessant und ich habe viel entdeckt, viel über meine Arbeit und mich gelernt. Manchmal habe ich die besten Bilder schlicht nicht erkannt, manche Bilder reifen aber auch mit der Zeit oder gesellschaftliche und persönliche Kontexte verändern sich. Man findet auch alte Ansätze von denen man denkt, „ah das war doch eigentlich sehr interessant, warum habe ich damit damals nicht weitergemacht“ und so findet man dann alte Ansätze für neue Projekte. Jetzt freue ich mich darauf, die Arbeit mit der Welt teilen zu können und bin ich grade dabei das alles in eine Form zu bringen.
Ich habe außerdem mit einer Webentwicklerin an meiner neuen Website gearbeitet, denn die alte kann systematisch das nicht mehr darstellen, was ich zeigen möchte. Ich denke es wird ein Riesenschritt nach vorne für meine Fotografie. Außerdem habe ich noch eine neue Idee für ein Buch entwickelt.
Wie wird sich Deiner Meinung nach die Branche mit und nach der Krise verändern?
Ganz praktisch gesprochen: ich denke Budgets und Honorare werden leider runter gehen. Die Unternehmen werden die Gunst der Stunde zu nutzen wissen. Manche haben vermutlich wirklich nicht das selbe Geld zur Verfügung, andere werden jedoch auf den Zug aufspringen, obwohl es ja auch viele Unternehmen gab und gibt die durchaus von der Krise profitieren. Ich hatte neulich zum Beispiel den Anruf: „Hallo wir sind eines der grössten milliardenschweren Unternehmen in Deutschland das kaum einer kennt. Hilfst Du uns dabei das zu ändern?“ Nach eigenen Aussagen läuft es prima und alles sei krisensicher. Meine Agentur und ich haben lange hin und her gerechnet, das Budget war dann aber trotzdem nur etwa die Hälfte von dem, was man eigentlich gebraucht hätte um das fair und professionell produzieren zu können. Warum ich mein Honorar, besonders jedoch die Honorare der Leute die mit mir arbeiten also Styling, Make-up, Team oder Modelle im Auftrag einen Milliardenkonzerns, bei dem es nach eigener Aussage klasse läuft, drücken soll, leuchtet mir nicht so ganz ein…
Ich habe das ja schonmal 2008 bei der Finanzkrise erlebt, als ich grade zwei Jahre als Fotograf gearbeitet hatte, ich denke es wird diesmal ähnlich… Die Leute, die es mit dem Fotografieren nicht so ernst meinten, haben damals aufgehört, weil es zu unbequem wurde. Buyouts wurden gestrichen, Tagessätze sind geschrumpft. Ich denke es wird diesmal ähnlich sein. Mir tun die jungen talentierten Fotograf*innen leid, die über keine Rücklagen verfügen – sie werden einen schwereren Start haben. Anderseits habe ich es zur Ermutigung damals ja auch unter den Bedingungen geschafft anzufangen. Der Bedarf an Bildern ist außerdem ja weiterhin höher als jemals. In einer globalisierten Welt sind die Bilder die Sprache, die alle gemeinsam sprechen. Walter Benjamins Prophezeiung ist also jetzt erst wirklich wahr geworden. Ich hoffe, dass das sich dann alles langsam wieder normalisiert, sobald es einen Impfstoff oder Medikamente gibt, aber es wird ein wenig dauern.
Wird es eine inhaltliche und/oder stilistische Veränderung der Fotografie generell geben?
Ich kann nicht hellsehen, hoffe aber, dass angesichts der Bedrohungen von Autokraten, Nationalisten und auch Viren das Leben sowie die vorhandenen Freiheiten wieder mehr geschätzt werden und alles ehrlicher wird, damit die Bilder die Kraft entwickeln können an gesellschaftlichen Veränderungen mitzuarbeiten. Ich glaube jetzt nicht an die einzige Wahrheit im Foto sondern sehe es wie Gary Winogrand, dass man die Wahrheit verändert, sobald man sie in vier Ecken reduziert, aber es geht darum um ein Bewusstsein und eine neue Realität zu schaffen.
Ich versuche etwa seit Jahren, Menschen jeglicher Hautfarbe, Geschlechts oder sexueller Orientierungen zwar nicht zum hauptsächlichen Thema meiner Fotografie zu machen, aber darin ganz normal stattfinden zu lassen, denn ich denke Repräsentation in den Medien erweitert das Bewusstsein. Und wenn die Gesellschaft auch vielleicht nicht so weit ist wie ich sie mir wünsche, so möchte ich doch eine solche Gesellschaft in meinen Bildern skizzieren um den Menschen die Hoffnung auf einen bessere Welt und Leben geben. Ich hoffe wir erinnern uns angesichts der Krise daran, dass das Leben kurz und jeder Moment und jedes einzelne Leben wertvoll ist! Es gibt ja erste Anzeichen, dass sich dieser Trend global in der Fotografie durchsetzt, denn ich glaube fest daran es gibt immer noch kein besseres Medium, um Momente und Leben für weitere Generationen festzuhalten, so dass diese dann Ihre eigenen Existenzen darin spiegeln können.
Wird sich in Deiner Fotografie etwas ändern?
Ich mache ja grade Tabula Rasa und spüre schon jetzt die Energie die aus der damit verbundenen Leichtigkeit in mir aufsteigt. Es wird sich also sicher was verändern. Ich habe einige Ideen, rede aber ungern darüber bevor ich es mir selbst bewiesen habe. Nicht weil ich Angst habe, dass jemand meine Ideen klaut – dazu ist dann doch immer jeder Fotograf zu individuell – aber weil die Energie in mir selbst dann verpufft, wenn ich die Ideen zu stark und zu oft ausformuliere. Es ist dann als ob ich das Projekt schon im Geiste erledigt habe und es gar nicht mehr fotografieren brauche. Mir tut ein gewisser Druck auf meinem Kessel ganz gut, um mich nun Bewegung zu setzten.
Was ist Dein persönlicher fotografischer Wunsch für die Zukunft?
Ich weiß nicht wieso und vielleicht ist es aktuell nur Fernweh, aber ich möchte mal irgendwann in den Anden fotografieren. Außerdem möchte ich gerne noch mehr eigenen Projekte als Bücher realisieren und hoffe sehr das meine wieder sehr starke Liebe zur Fotografie sobald nicht erlischt.
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