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#FacesOfPhotography – Teil 103: Christian O. Bruch aus Hamburg

Christian O. Bruch hat nach vielen Wochen das erste Vorstandshooting unter Corona-Maßnahmen bewältigt – in einem Badezimmer. Ansonsten läuft der Job bei ihm langsam wieder an. Die Zeit bis hierher hat er für freie Arbeiten genutzt und dafür, seine Lehrtätigkeit an der Fachhochschule Hannover auf digitale Beine zu stellen. Darüber, über eine Veränderung in der Fotografie und was ihm ebendiese bedeutet, darüber hat er mit den #FacesOfPhotography gesprochen:

Christian, wie geht es Dir dieser Tage?
Danke, eigentlich ganz gut. In meinem persönlichem Umfeld sind, zum Glück alle gesund.
Arbeitsmäßig sind aber alle in irgendeiner Weise von den Maßnahmen betroffen. Die einen mehr, die anderen weniger. Aber im Großen und Ganzen kann ich zum jetzigen Zeitpunkt sagen: Noch mit einem blauen Auge davon gekommen.

Sonntagmorgen, Hamburger Fischmarkt. Es ist der 19. April 2020 und der Markt wurde auf unbestimmt abgesagt. Normalerweise wäre an diesem Sonntag alles voll mit Ständen und Buden.

Was hast Du fotografisch in den letzten Wochen und Monaten erlebt?
Jobmäßig war natürlich auch bei mir ab dem 16. März absoluter Stillstand. Und alle Jobs und Termine wurden erst einmal auf unbestimmte Zeit verschoben.
Zu Anfang dachte der Großteil ja noch, dass es spätestens im Juni mit dem gewohnten Arbeiten wieder losgeht. Ich hatte in den ersten Tagen tatsächlich auch noch einige einzelne Aufträge für Magazine, die aber im direkten Kontext zu dem Lockdown standen.
Erst ab Mitte Juni gab es dann den ersten richtigen Job, bei dem es um Portraits ging. Das war natürlich auch eine gewisse Herausforderung – einmal für mich als Fotografen, aber auch für den Kunden. Im Vorfeld haben wir natürlich viel darüber kommuniziert, wie man einen solchen Termin abwickelt, um einen reibungslosen und sicheren Ablauf zu gewährleisten und dabei auch ein Ergebnis zu bekommen, auf dem man nicht auf dem ersten Blick sieht, dass es unter Corona-Sicherheits-Regeln entstanden ist.
Auf alle Fälle merke ich seit einigen Wochen, dass die Kunden sich vermehrt melden und es auch wieder Anfragen gibt – offenbar ist so einiges in den letzten Monaten angefallen, was neu fotografiert werden muss. Ich habe die Zeit aber auch genutzt, um mich in Sachen Software und Post-Produktion weiterzubilden.
Da ich außerdem noch einen Lehrauftrag an der Hochschule in Hannover habe und es dort am 13. März während eines Seminars zur Einstellung des Hochschulbetriebes kam – da es fast minütlich neue Information zur Endwicklung der Pandemie und dem damit verbundenem Umgang an öffentlichen Einrichtungen gab – wurde auch diese Tätigkeit erst einmal in der gewohnten Weise beendet, was natürlich zu einem Umdenken und Verlassen der gewohnten Arbeitsweise geführt hat.
Da ich fast nur praktischen Unterricht abhalte – mit dem vorhandenem Licht-Equipment der Hochschule – musste ich mich erstmal damit auseinander setzten, wie ich nun lehren kann, wenn man sich nicht an der Hochschule trifft sondern ausschließlich online. Ich musste überlegen, wie man diese Inhalte den Studenten via Online-Vorlesung näher bringen kann, ohne dass das den Eindruck eines YouTube Videos hinterlässt.
Auch das war ein Sprung ins kalte Wasser. Da dieser Zustand leider auch für das kommende Semester gilt, bleibt es spannend.

Der Hamburger Flughafen, am 8. April 2020 während des Lockdowns – der Flugverkehr wurde extrem stark eingeschränkt, nur eine Handvoll Flugzeuge startete und landete täglich.

Woran arbeitest Du aktuell – frei und als Job?
In der Vergangenheit war es so, dass sich ein Ereignis, eine Katastrophe oder eine Krise in der Regel auf ein bestimmtes Gebiet, auf einen Ort begrenzt hat – ich denke an den 11. September oder an den Fall der Berliner Mauer, zu dem ich damals nicht gefahren bin, da ich einfach kein Geld hatte um von Hamburg nach Berlin zu fahren. Eine billige Ausrede, für die ich mir heute noch in den Arsch treten könnte. Damals jedenfalls habe ich mir geschworen: Das passiert mir nicht noch mal.
Doch Corona ist eine globale Katastrophe, von der alle betroffen sind, sie passiert jedem von uns zuhause!
Daher habe ich mich gleich nach dem Lockdown gefragt: Wie kann man etwas zeigen, was man eigentlich nicht sieht? Ganz einfach: Man zeigt die Abwesenheit des Individuums.
So kam ich darauf, bestimmte Plätze in Hamburg zu fotografieren, zu Uhrzeiten oder an Tagen, an denen diese Orte eigentlich überfüllt wären.
Auf den ersten Blick wirken sie eigentlich ganz normal, aber beim zweiten Hinschauen merkt man, dass etwas nicht stimmt. Oder, wenn man weiß an welchem Tag dieses Bild entstand und was ohne Corona, dann an diesem Ort, zu dieser Zeit los wäre.
So zum Beispiel das Foto des komplett leeren Hamburger Flughafen Terminal 1, der unter der Woche um neun Uhr morgens rappelvoll ist.
Oder das Bild am Baumwall am Hamburger Hafen – sieht aus wie ein ganz normaler Sommerabend, aber an diesem Tag wäre eigentlich der 831. Hafengeburtstag und damit wären dann dort so um die 1,2 Millionen Menschen unterwegs gewesen… So sind aber gerade mal 20-30 Leute auf der Promenade zu sehen.
Die Frage ist auch: Was bleibt übrig? Was wird man in 200 Jahren über diese Zeit schreiben, überhaupt noch wissen? Was bleibt übrig von all den Berichten, Texten, Bildern, die in den letzten Wochen, Monaten entstanden sind. Ich hoffe nicht, dass es die Bilder von achtlos weggeworfenen Mund-Nasenschutzen im Rinnstein sind – die kann ich nicht mehr sehen.
Auf alle Fälle wird es die am besten dokumentierte Katastrophe in der Geschichte der Menschheit sein. Wirklich jeder Mensch auf der Erde, von Grönland bis Neuseeland, von Bottrop bis nach Murmansk hat seinen Alltag unter Corona auf den sozialen Medien gepostet.
Eigentlich hatte ich mir Ende letzten Jahres für 2020 zwei Projekte vorgenommen, die ich realisieren wollte. Beide wären mit etwas reisen verbunden gewesen. Bereits Mitte März konnte ich absehen, dass sich das so nicht umsetzen lässt, sowohl finanziell als auch logistisch nicht. Also habe ich diese Projekte erst mal auf Eis gelegt. Wobei ich eines davon in abgeschwächter Form trotzdem angefangen habe und ich auch, wann immer es möglich ist, daran arbeite. Es ist nichts großes, eher eine Herzensangelegenheit, die schon lange in mir schlummert und nun endlich umgesetzt werden möchte.
Ich hoffe aber dass ich sie im nächsten Jahr beenden kann.
Und wie schon gesagt, so langsam kommen, auch seit einigen Wochen wieder die ersten Anfragen rein. Da geht es erstmals um Portraits. Da in den letzten Monaten aufgrund des Lockdowns natürlich auch auf Kundenseite, so einiges liegen geblieben ist, was nun gerne  nachgeholt werden möchte.

Die Reeperbahn auf St. Pauli am 21. März 2020, während des Ausgehverbots und nach der Schließung von Bars, Clubs und Restaurants. Die Herbertstraße auf St. Pauli ist geschlossen, normalerweise sitzen Prostituierte in den Fenstern und Männer gehen durch die Strasse.

Was denkst Du, wie wird sich die Krise im weiteren Verlauf auf die Fotografie – inhaltlich, stilistisch, wirtschaftlich – auswirken?
Wirtschaftlich ist dieser Zustand ein absoluter Alptraum. Ich kann mich noch sehr genau an die Finanzkrise 2008, nach der Lehman-Brothers Pleite erinnern. Das war schon ein herber Einschnitt, der uns ja etwas zeitverzögert erreicht hat. Und damals war es nur eine Bank, die Pleite ging – jetzt ist es eine globale Krise, deren Ende wir leider noch gar nicht absehen können.
Wie nach jeder Krise gibt es auch jetzt viele Kollegen, die sich genau überlegen ob sie so weiter machen können und auch wollen. Gerade für junge Kollegen, die sich in der Zeit vor Corona dazu entschlossen haben den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen und die ersten Kunden für sich gewinnen konnten, ist diese Zeit ein herber Rückschlag. Aber auch auf Kundenseite wird es einige Fragen nach der Notwendigkeit von Fotoproduktionen und dem Umgang mit Fotografen geben. Auf alle Fälle ist es auf beiden Seiten ein Herantasten im richtigen Umgang in solch einer Situation.
Direkt nach der ersten Anfrage habe ich eine Auflistung erstellt, wie wir während einer Fotoproduktion die Sicherheitsstandards für das Fototeam einhalten, da sind so einige Punkte zusammen gekommen. Diese Auflistung fügen wir nun jedem Kostenvoranschlag bei, damit die Kunden auch sehen, dass ich / wir das Thema Corona sehr ernst nehmen.
Stilistisch hat sich das Virus auch schon auf die Fotografie ausgewirkt: Vor einigen Tagen durfte ich den Vorstand eines großen Unternehmens portraitieren, das Badezimmer-Armaturen herstellt. Normalerweise stehen bei solchen Fotos die Damen und Herren immer recht nah beieinander, um eine Form der Einigkeit, des Zusammenhaltes zu demonstrieren. Doch jetzt haben wir sie in einem Badezimmer in ihrem Showroom etwas auseinander gestellt, ein jeder für sich mit 1,5m Abstand, zum Kollegen. Und es funktioniert. Wenn man sich das Foto anschaut, würde man nie auf die Idee kommen, dass es unter Berücksichtigung der Coronamaßnahmen erstellt wurde. Aber ich kann ja jetzt nicht all meine Kunden dazu zwingen ihre nächsten Portraits im Badezimmer zu fotografieren… Man muss sich halt genau überlegen, wie man zu einem guten Ergebnis kommt. Um sich und sein Gegenüber nicht irgendwelchen Risiken auszusetzen.

Blick auf die Elbpromenade am Baumwall am 8. Mai 2020. An diesem Tag wäre der 831. Hamburger Hafengeburtstag gefeiert worden – er wurde Anfang März abgesagt.

Was bedeutet Dir die Fotografie?
Alles!! Nachdem ich als 16-jähriger den ersten Kontakt mit einer Kamera hatte, stand für mich recht schnell fest: Dass isses!!
Eine Fotografie ist für jeden Menschen sofort „lesbar“. Die darauf abgebildete Information, versteht jeder: Mann, Frau, alt, jung, gebildet oder ungebildet, unabhängig der kulturellen Identität, das ist völlig egal. Sie löst eine Emotion aus, die Barrieren überwindet.
Nicht umsonst hat der Astronaut Charles Duke – Mitglied der Apollo 16 Mission – ein Foto seiner Familie auf dem Mond zurückgelassen, sozusagen, als kleiner extraterrestrischen Willkommensgruß, für wenn auch immer.
Ich bin unendlich dankbar dass ich diese Möglichkeit habe, an Orte und Plätze zu kommen die mir ansonsten verschlossen wären oder mit Menschen in Kontakt zu kommen, die ich sonst nie getroffen hätte. Und ich bin dankbar dafür, dass mir meine Kunden dahingehend vertrauen und mir diese Möglichkeiten geben. Von daher: Ja, Fotografie ist für mich die Möglichkeit meine Umwelt besser kennen zu lernen und auch die Welt zu erkunden und auch mich selbst besser kennen zu lernen.
Auch sind Fotografien, Bilder oder auch Gemälde, Dokumente und Bewahrer längst vergangener Epochen. Wann immer ich es kann, gehe ich in Städten, in denen ich gerade bin, in Museen und schaue mir die Foto- oder die Gemälde-Sammlung an. Denn, egal wie alt diese Werke sind, sie sind immer das Abbild einer Kultur die vergangen und uns heute fremd ist.

Das Autokino auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg St. Pauli am 12. Juni 2020. Es läuft der Film „Joker!“ Eigentlich sollte an diesem Tag das Eröffnungsspiel der Fußball Europameisterschaft 2020 stattfinden und auf diesem Platz live auf großen Leinwänden übertragen werden. Die EM wurde verschoben, nun wird der Platz als Autokino genutzt.

Was ist Dein persönlicher fotografischer Wunsch für die kommenden Monate und Jahre?
Das die Kunden weiterhin Vertrauen in uns Fotografen haben.
Das sie nicht anfangen, durch Angst getrieben, ihre Mitarbeiter mit Smartphones bestückt und mit den Worten im Ohr: »Halt mal drauf, irgendetwas wird schon dabei sein…..ach, es ist ja nur fürs Intranet!« durch die Unternehmen zu scheuchen!
Dass man sich für gute Fotografie wieder mehr Zeit nimmt und diese dem Fotografen auch zugesteht.
Die Termine, die ich in den Wochen unter Corona wahrgenommen habe, gingen schon in diese Richtung und das hat sich recht positiv auf die Ergebnisse ausgewirkt. Ich kann nur hoffen, dass dieser Trend anhält und nicht gleich wieder verschwindet, da man sieht, dass es ja auch geht.

Aber um es mal mit den Worten von F. Scott Fitzgerald zu sagen;
„So regen wir die Ruder, stemmen uns gegen den Strom –
Und treiben doch stetig zurück, dem Vergangenem zu.“

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Natürlich können Sie auch gerne über Fotogloria Kontakt zu Christian aufnehmen – melden Sie sich jederzeit unter 040 609 42 906 -0 oder info@fotogloria.de