Samuel Zuder hat im „Corona-Liveticker“ des RKI verfolgt, wie sein lange geplantes Projekt den Reisebeschränkungen zum Opfer gefallen ist. Nun wird er sich fotografisch etwas ganz anderem widmen. Was genau und worüber er sonst nachdenkt, das hat der den #FacesOfPhotography erzählt:
Samuel, wie geht es Dir?
Mir geht es gut. Meine Familie ist gesund. Dank Homeoffice, Kita-Schließung und Kontaktbeschränkungen verbringen wir gerade sehr viel Zeit miteinander. Das hat Vor- und Nachteile. Meine Tochter ist vier und sehr lebhaft. Ganztägige Kinderbetreuung kann da ganz schön anstrengend sein. Viel Raum für mich bleibt da nicht. Zum Glück kann sie jetzt wieder in der Kita – drei Tage Notbetreuung. Die ersten Wochen nur zuhause veränderten merklich ihren Gemütszustand. Sie wurde immer antriebsloser und ihre Lego-Bauten immer bizarrer. Jetzt spielt sie wieder mit andern Kindern und das tut uns allen gut.
Natürlich mindern die angeordneten Maßnahmen unsere gewohnte Lebensqualität ungemein. Aber angesichts der weltweiten Infektionszahlen und Todesraten nehme ich die vorübergehenden, sogenannten Freiheitseinschränkungen gerne hin, trage Maske wo nötig und halte, wo möglich, den empfohlenen Abstand ein. Alles andere wäre verantwortungsloser Egoismus. Meine eigene Freiheit endet genau da, wo das Ausleben dieser Freiheit andere Menschenleben gefährden könnte.
Was hast Du beruflich seit Beginn der Krise erlebt?
Ich hatte ich mich gerade für ein paar Wochen abgemeldet und plante die erste Etappe – eine Reise nach Ghana – für mein nächstes Buchprojekt. Die Vorzeichen standen eigentlich gut.
Das Projekt wird von der VG Bild-Kunst gefördert. Flug und Unterkunft waren bereits gebucht, Kontaktpersonen und Helfer/innen informiert und mein übliches Lampenfieber der Vorfreude gewichen.
Wie über einen Börsenticker konnte ich dann auf den Info-Seiten des RKI und Auswärtigen Amtes den Zusammenbruch meiner Reisepläne verfolgen. Immerhin hat es mein Reisepass bis ins Ghanaische Konsulat nach Berlin geschafft. Dort liegt er immer noch – bis auf unbestimmte Zeit. Sollte ich ihn irgendwann wieder bekommen, befindet sich darin wahrscheinlich ein Visum, gültig für April/Mai/Juni 2020.
Jobanfragen gab es seit Mitte März praktisch keine mehr. Ein größerer, längerfristig angelegter Corporate-Auftrag für Unternehmens-Portraits ist erst einmal auf Eis gelegt. Kleiner Lichtblick: ein Motiv meiner, aus der Lockdown-Not heraus geborenen, Instagram-Serie ”Homeland” wird im Corona-Sonderheft des Stern zu sehen sein. Das Bild habe ich mit dem iPhone aus unserem Wohnzimmerfenster heraus fotografiert.
Woran arbeitest Du zur Zeit?
An meinem übernächsten – oder jetzt vielleicht doch nächsten – Buchprojekt. Geplant war eigentlich eine weltweite Portraitserie, die ich in mehreren Etappen über die nächsten zwei Jahre realisieren wollte.
Die Corona-Lage zwingt mich zum Umdisponieren. Stattdessen arbeite ich jetzt an der Umsetzung einer anderen Idee, mit der ich mich schon länger beschäftige, die inhaltlich wie fotografisch aber einen völlig anderen Ansatz verfolgt. Es musste etwas sein, dass im Rahmen der Reise- und Kontakteinschränkungen machbar ist, also, um es mit den Worten von ‚Deichkind‘ zu sagen: ”Hauptsache nichts mit Menschen”. Deshalb werde ich mich 2020 fotografisch eingehend mit Dinosauriern beschäftigen.
Wie ist Deine Einschätzung zur Fotografie der Zukunft?
Zukunft ist nicht real. Deshalb gibt es auch keine Fotografie der Zukunft. Meine Aufmerksamkeit gilt mehr der Fotografie der Gegenwart und der Allgegenwärtigkeit der Fotografie.
Die gegenwärtige Fotografie hat eine unglaublich hohe inhaltliche, technische und ästhetische Qualität erreicht. Das Medium wird zunehmend demokratischer. Jede/r kann heutzutage Fotografie auf höchstem Niveau produzieren und auf zahlreichen Plattformen – Social Media – somit auch global auf sich aufmerksam machen. Zahlreiche Hochschulen entlassen immer mehr Talente in den Markt, deren Arbeiten über unzählige Fotowettbewerbe auf den Radarschirm potentieller Kunden, wie Buch- und Magazin-Verlage, Galerien, Unternehmen und kultureller oder humanitärer Organisationen geraten, die wiederum nur noch die fotografische Sahne abschöpfen müssen um ihre Qualitätsstandards ständig übertreffen zu können. Während die wirtschaftlichen Ressourcen dieses Marktes immer knapper werden – die Corona-Krise und andere Wirtschaftskrisen verschärfen die Situation – wächst dagegen der Zustrom an Fotografen/innen exponentiell.
Ein Blick auf die gegenwärtige Situation reicht um zu erkennen, dass immer mehr Fotografen/innen für und immer weniger von ihrer Fotografie leben werden. Der Qualität der Fotografie an sich wird das nicht schaden, Solange wir Ersteres nicht zugunsten von Letzterem aufgeben.
Was bedeutet Dir die Fotografie?
Fotografie ist für mich Lebensmittel und Erlebensmittel. Mit ihr mache ich mir mein eigenes Bild von der Welt. Sie führt mich durch die Welt, durch mein eigenes Leben und das vieler anderer Menschen, denen ich nur dank ihr begegnen kann.
Fotografie ist mein Medium die Welt zu dokumentieren, interpretieren oder manchmal sogar neu zu erfinden. Fotografie ist meine Sprache über Erlebtes zu erzählen. Mit Fotografie gebe ich auch immer etwas über mich preis, stelle mich meinem Gegenüber und beziehe auch selber Stellung. Fotografie ist sinnlich, irritierend, provokant, riskant, aufregend, erfüllend, anstrengend, Unterhaltung, einfach nur schön, lustig, tiefgründig, oberflächlich, Freude, Kampf, politisch – eben alles, was das Leben so ausmacht.
Was ist Dein persönlicher fotografischer Wunsch für die Zukunft?
Weiterhin sowohl für die als auch von meiner Fotografie leben zu können.
*** Fotos: Pilger-Portraits aus Samuel Zuders Bildband face to faith • mount kailash • tibet.
Die Aufnahmen entstanden 2012 am Mount Kailash in Tibet. Alle Pilger schützen sich mit Masken, weil die Widrigkeiten dieser unwirtlichen Umgebung es erfordern. »Eine Analogie zu unserem, immer noch gewöhnungsbedürftigen, Corona-Alltag.«
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