Für Frank Linders‘ Herz sind freie Arbeiten von immenser Bedeutung, so hat er die vergangenen Wochen und Monate auch dafür genutzt. Ebenfalls hat er als einer von vier Autor*innen an einem Buch über das Thema Selbstportrait gearbeitet. Darüber, warum er CO2-Bepreisungen in der Fotobranche für erstrebenswert hält und was er sich ganz persönlich für seine fotografische Zukunft wünscht, darüber hat er mit den #FacesOfPhotography gesprochen:
Frank, wie geht es Dir?
Lieben Dank für die Frage. Mir geht es gut. Ich bin gesund, habe stets glückliche Lebensmittel daheim und kann einfach mein Ding machen. Aber weil wir alle selbstverständlich als Gemeinschaftslebewesen in ständiger Wechselwirkung mit der Gesellschaft sind, ist meine Gesundheit auch zu einem gewissen Grad abhängig von der Gesellschaft, die meines Erachtens eine solche Krise für ihre Rettung dringend benötigte. Die Pandemie, so schlimm und furchtbar dieser Zustand, das menschliche Leid und die wirtschaftlichen Folgen sind, lehrt uns eine Menge. Wir müssen die menschlichen Wahrnehmungsfähigkeiten, die das geistig entleerte Leistungssubjekt der Konsumgesellschaft durch die Digitalität verloren hat, wieder trainieren und nach vorne blicken. Denn die bereits präsente Klimakrise wird alle Krisen, die Menschen auf diesem Planeten bereits durchlitten, in den Schatten stellen. Und ich befürchte, daß dies nur sehr wenigen unter uns wirklich bewußt ist.
Was ist die Fotografie für Dich?
Ich bin mit der Fotografie verheiratet, weil es höhere Wesen befohlen haben. Bevor ich abends das Licht ausschalte, schaue ich meine geliebte Hasselblad 503 CW und die Sinar P2 an, wünsche beiden eine gute Nacht und schlafe sanft mit einem glücklichen Lächeln ein, um mit einem breiten Grinsen wieder zu erwachen.
Hattest Du Zeit und Muße für eine freie Arbeit?
Jaaaaa! Freie Arbeiten sind für das Herz, für mein Herz, von großer Bedeutung und immenser Wichtigkeit! Vor allem habe ich zwei audiovisuelle Werke kreiert und produziert, die ich in zwei verschiedenen BFF-Ausstellungen gegen Ende des Jahres präsentierte. Zunächst fand die Triebwerk 2020 Ausstellung im Rahmen des EMOP als Open-Air-Gallery am Brandenburger Tor statt. Und zwar zeitgleich zum 30sten Tag der Deutschen Einheit! Hierfür wollte ich unbedingt niemand geringeres als Dr. Karamba Diaby portraitieren, der sich als Bundestagsabgeordneter aus Halle/ Saale unter anderem für mehr Zusammenhalt einsetzt. »NEUN FRAGEN AN DR. KARAMBA DIABY« ist ein interessantes Interview zum Thema »Close by – Das Miteinander in 2020«. Das war wahrlich ein absolutes Highlight und eine ganz wunderbare, herzliche Begegnung mit ihm.
Als ein ebenso tolles Erlebnis empfand ich die vier Wochen später in Köln gezeigte BFF-JUMP #09 Show zum Thema »fragil/e«. In »GETESTET« lernt der aus Spanien stammende und in Berlin lebende Künstler Alejandró im Frühjahr 2020 via Onlinedating die junge Wissenschaftlerin Luisa aus Hamburg kennen. Als nach dem Lockdown die ersten Hotels wieder öffnen, verbringen die beiden zusammen sehr viel Zeit im Bett. Im Herbst jedoch wird das erneute Wiedersehen von der Ernsthaftigkeit eines Schwangerschaftstests überschattet, den Luisa soeben gemacht hatte. Während des Gesprächs über unerwartete Zukunftsfragen bemerken sie, mit welch` wichtigen Entscheidungen sie in dieser sehr fragilen, höchst unsicheren Situation plötzlich konfrontiert sind.
Eine weitere Herzensangelegenheit, in das ich sehr viel Zeit und Energie investierte, ist ein im Mai erscheinendes Buch zum Thema Selbstportraits, bei welchem ich einer von vier Autor*innen bin. Ohne zu wissen, warum, habe ich irgendwann in meiner Jugend mit Selbstportraits begonnen und mache das bis heute. Für das Buch habe ich das versucht zu ergründen und mich auf eine Reise in die Vergangenheit begeben. Um all das für neugierige Leser*innen spannend und mit Humor schreiben zu können, war der noch anhaltende Lockdown dabei sehr hilfreich für mich.
Hat sich Deine Fotografie – in stilistischen oder wirtschaftlichen Belangen – im Zuge der Pandemie verändert?
Nein, absolut nicht. Die gesellschaftliche Entwicklung, die wir seither beobachten, hat mich sogar bestärkt, meinen Weg der extremen Langzeitbelichtungen gegen alle Widerstände weiterzugehen. Mein Lebensthema war, ist und bleibt das Sein in der Zeit. Damit verbunden sind beispielsweise die veränderte Zeitwahrnehmung des modernen Menschen, der Verlust an Geduld, die Wertigkeit der leisen Dauer, das laute und begrenzende Jetzt. Gerne gebe ich aber zu: Während des ersten Lockdowns im Frühling 2020 habe ich mir durchaus die Frage gestellt, wie meine Fotografien zukünftig gelesen werden könnten. Kein Schiff auf der Elbe. Kein Flieger am Himmel. Kein Leben in den Städten und autofreie Straßen. Doch schnell war klar, daß genau diese Erfahrung der Energielosigkeit das Gegenteil meiner Arbeiten ist. Meine Bilder brauchen gerade die pulsierende Energie aller Existenzen, sie ästhetisieren das Verschwinden und sind dabei voll positiver Lebendigkeit.
Was denkst Du, was bedeutet die Pandemie für die Branche allgemein?
Im allgemeinen betrachtet, bin ich sehr zuversichtlich. Nahezu optimistisch. Das Leben kommt zurück und wird intensiver, hoffentlich auch bewusster und weniger egoistisch gelebt werden. Der gewachsene Zusammenhalt muss verstetigt werden. Werbung und damit Kommunikation für Unternehmen und deren Produkte bleibt selbstverständlich als zentrales Instrument erhalten und entwickelt sich weiter. Weil Intelligenz heute genauso wie früher nicht gleichmäßig verteilt ist, wird es weiterhin viel visuellen Müll geben aber eben auch Raum für Exklusivität und kommunikative Höchstleistungen, die dem Rezipienten wirklich etwas mitzuteilen haben. Tatsächlich langweilen mich die Auswirkungen der Pandemie für die Branche jedoch, weil ich sie nicht nur als etwas temporäres betrachte, sondern auch als etwas, was wir gemeistert haben werden. Bedeutender und von generationsübergreifender Dauer hingegen sind die Konsequenzen, die sich aufgrund der existentiellen Klimaveränderungen ergeben. Auch Film- und Fotoproduktionen müssen auf Zero Emission runter. Der Begriff Kosteneffizienz muss um die Umwelt- und Klimafolgen einer Produktion erweitert werden. Ein KVA sollte ab sofort eine CO2-Bepreisung beinhalten, die sich an der Berechnung des IPCC orientiert. Jeder einzelne Posten einer Medienproduktion muss auf Basis von fairen und ökosozialen Bedingungen kalkuliert und natürlich dann auch so umgesetzt werden. Wenn jeder Mensch eine Verantwortung hat, dann auch jede*r Fotograf*in und jedes Unternehmen.
Was ist Dein persönlicher fotografischer Wunsch für die Zukunft?
Ich bin Existentialist und Minimalist. Daher ist mein primärer, fortwährender Wunsch die Unabhängigkeit von allem, was mir bei exzellentem Kaffee nicht gelingt. Bevor ich ein schlechtes Bild mache, mache ich lieber gar keines. Ich wünsche mir, daß ich meine kindlich-naive Neugierde behalte. Ich wünsche mir, daß, egal was passiert, egal, was von außen auf mich einwirkt, ich mir meine brennende Leidenschaft, das innere Feuer, bewahre. Ich wünsche mir Content, der auch wirklich Inhalte transportiert. Ich wünsche mir realitätsnahe medienorientierte Bildung, die die Digitalität einbezieht, ohne zur Deformation des Gehirns beizutragen. Ich wünsche mir ein Ende des rasenden Stillstands und einen bewußteren Umgang mit der Eigenzeit des Anderen. Und ich wünsche mir, daß sich alle, die nicht professionell, fair und ökosozial produzieren, einen anderen Job suchen.
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