#FacesOfPhotography – Teil 100: Nanna Heitmann aus Moskau

Als der russiche Lockdown begann, hat Nanna Heitmann zuhause eine intime, surreal-fotografische Welt erschaffen. Etwas später dann hat sie Zugang zu einem der Moskauer Krankenhäuser bekommen, um dort die Auswirkungen der Pandemie zu dokumentieren. Was sie dort gesehen und erlebt hat und welche Rolle sie der Fotografie im Allgemeinen zuschreibt, darüber hat sie mit den #FacesOfPhotography gesprochen:

Nanna, wie geht es Dir?
Ganz gut, es ist doch noch einmal etwas Wärme und Sonne bis nach Moskau durchgekommen!

Was hast Du fotografisch in den letzten Wochen und Monaten erlebt und erarbeitet?
Die letzten Monate waren für mich emotional und fotografisch sehr intensiv. Seltsamerweise hat mich der Lockdown unglaublich beflügelt, Neues zu probieren – ich habe wahrscheinlich so viel fotografiert wie seit langem nicht mehr.
Der mehrmonatige Lockdown in Moskau erinnerte mich teilweise an das Buch 1984 von George Orwell. Während des Lockdowns durfte man ohne speziellen QR-Code nur zum nächst gelegenen Supermarkt oder zur Apotheke. Alles wurde streng kontrolliert. Das Taxi konnte nicht losfahren ohne gültigen Code, die Metro Tür hätte sich nicht geöffnet. Daher habe ich zunächst zuhause fotografiert, beziehungsweise versucht, mit meinem Freund Andrey– der Clown und Puppenspieler ist – eine kleine surreale Welt zuhause und auf dem Dach unseres Wohnblocks zu schaffen. Es war wie eine kleine Flucht, aus dieser seltsamen, bedrückenden Zeit.

Später zog es mich auf die Straße, Journalisten durften zum Glück arbeiten. Mich haben schon immer die Foto Archive der spanischen Grippe fasziniert und mit etwas Glück habe ich einen sehr guten Zugang zu einem Krankenhaus in Moskau bekommen, wo ich mich frei bewegen durfte und fotografieren konnte, so lange wie ich wollte- beziehungsweise so lange, wie ich es ausgehalten habe… Ich habe zuvor nie „Krisen“ fotografiert und selten das Leid anderer. Den ersten Tag im Krankenhaus war ich wie gelähmt und habe die Kamera fast nicht hochbekommen. Bis auf zwei Krankenhäuser von insgesamt 60 in Moskau wurden alle auf Covid umgestellt. Man betritt Krankenhaus-Gelände, wo über 1.000 Patienten mit der selben Krankheit liegen. Eine Krankheit, die bis vor kurzem nicht existiert hatte. Es waren Bilder von toten Patienten oder schwer erkrankten jungen Menschen und selbst Kindern. Und von Ärzten am Ende ihrer Kräfte, die mehr als 24 Stunden ohne Pause, oft selbst mit Fieber und Husten, arbeiten, die sich sehr bei mir eingeprägt haben. Im Krankenhaus arbeiten auch mehrere Militärärzte. Sie meinten, das letzte Mal hätten sie so einen Zustrom an todkranken Patienten im Tschetschenien-Krieg gesehen. Sie scherzten oft: »zumindest weniger Blut und nicht im Zelt.« Umso mehr erschreckt mich die Ignoranz von vielen Menschen. Niemand trägt mehr Maske.

Was bedeutet aus Deiner Sicht die Pandemie für die Fotografie (stilistisch, inhaltlich, wirtschaftlich)?
Meiner Meinung nach sind sehr viele interessante und historisch wertvolle Geschichten entstanden. Eine der bedrückendsten Reportagen hat für mich Tyles Hicks entlang des Amazonas fotografiert.
Der europäische, redaktionelle Markt scheint aber nun nur noch schneller zu schrumpfen, da viele Werbanzeigen verloren gegangen sind und so Magazine und Zeitungen vor noch größere existenzielle Probleme stellt. Die wirtschaftlichen Auswirkungen bekommen wir wahrscheinlich erst in den nächsten Monaten so richtig zu spüren.

Was bedeutet für Dich persönlich die Fotografie – auch in diesen Zeiten?
Diese Zeit hat mir wieder gezeigt, welch wichtiges historisches Dokument die Fotografie ist. Und wie wichtig sie ist, um unser Umfeld und die Zeit in der wir leben besser zu verstehen und zu hinterfragen.



Was ist Dein persönlicher fotografischer Wunsch für die Zeiten, die kommen?

Ich würde gerne wieder Themen, Orte und Menschen fotografieren können, ohne Covid-Bezug und ohne Angst haben zu müssen, ihnen die Pest aus Moskau mitzubringen…

Website von Nanna Heitmann
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Das Foto von Nanna hat übrigens Dmitrii Selianin gemacht.

Natürlich können Sie auch gerne über Fotogloria Kontakt zu Nanna aufnehmen – melden Sie sich jederzeit unter 040 609 42 906 -0 oder info@fotogloria.de